Wie Aldi & Co uns beim Stressmanagement helfen und warum das ständige „an Themen arbeiten“ einer Autoimmunkrankheit gleicht

„Wenn du es eilig hast, mach einen Umweg.“ Dieses japanische Sprichwort hat sich mittlerweile auch bei uns rumgesprochen. Es klingt gut und wird oft zitiert, aber mal ehrlich: Wer von uns europäischen Hobby-Zenmeistern macht das wirklich? Hand aufs Herz…

Dabei würde es tatsächlich den Stress aus so vielen Situationen nehmen. Sie kennen das: Immer dann, wenn der größte Zeitdruck besteht, passieren Missgeschicke, die Sie wieder im Zeitplan nach hinten werfen. Der Tee ergießt sich über die schon ausgedruckten Dokumente, Sie haben eine Meinungsverschiedenheit mit dem vermaledeiten Computerprogramm und beim Gedanken an den kurz vorm Tobsuchtsanfall stehenden Chef lässt Ihre Schreibblockade nicht lange auf sich warten.

Warum? Weil Ihr Körper so gestresst ist, dass er nicht mehr voll leistungsfähig ist. Sie sind fahrig und ziehen die Komplikationen förmlich an. Also dauert alles noch länger, Sie werden noch gestresster.

„Mach einen Umweg“ heißt hier ganz banal: Machen Sie ganz bewusst eine Pause. Legen sie den Stift weg, holen Sie sich eine Tasse Tee und atmen Sie mit geschlossenen Augen bis in den unteren Bauchraum, bis in die Zehen sogar. Und komplett wieder aus. Sie haben Angst, die Kollegen lachen über Sie? Dann gehen Sie auf die Toilette, setzten sich auf den geschlossenen Klodeckel und konzentrieren sich voll auf Ihren Atem. Lassen Sie die Schultern kurz kreisen und dann fallen, stellen sie beide Füße auf den Boden und beobachten Sie einfach, was in Ihrem Körper passiert. Im Normalfall stellt sich ein Gefühl der Weite und/oder Wärme ein und der Atem beruhigt sich.

Ich verspreche Ihnen, dass Ihnen die Arbeit danach wesentlich schneller und leichter von der Hand gehen wird. Ich habe es selbst getestet. Der Umweg kostet Sie also erstmal Zeit, lohnt sich aber insgesamt auf jeden Fall, allein schon um Ihren Körper aus der Stress-Spirale zu holen. Denn es ist rein physiologisch nicht möglich, gleichzeitig tief zu atmen, locker entspannte Muskeln zu haben und Stress zu empfinden. Trägt nebenbei auch zu einer besseren Atmosphäre am Arbeitsplatz bei…

Sie können schon mal „trocken“ üben, indem Sie bei gewissen deutschen Discountern einkaufen. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Sie dort gegen Ihren Willen gezwungen werden, an der Kasse zum Hochleistungssportler zu werden, weil Ihnen sonst Ihre Einkäufe einfach vom Tresen geschoben werden und entweder auf den Boden fallen oder die Ananas in Ihrem Einkaufswagen auf den Eiern landet? Mein persönlicher „Umweg“ hier: Ich bitte den Kassierer, langsamer zu machen und lasse mir bewusst die Zeit, die ICH brauche, um die Waren in den Einkaufkorb zu legen und dann ohne vor lauter Eile zitternde Finger meine EC-Karte herauszukramen. Dabei denke ich mir: „Tut der Person an der Kasse auch gut, mal aus dem Zeitdruck auszusteigen.“

Mit Zeitdruck und Leistungsdenken arbeiten wir aber auch auf der Gefühlsebene und der Ebene der Persönlichkeitsentwicklung gegen uns selbst. Was ist hier die „Eile“ und was der „Umweg“? Die Eile besteht darin, dass wir oft nicht akzeptieren wollen, wenn wir unsere Verhaltensmuster oder eingefahrenen Reaktionen nicht in dem Tempo verändern können, wie wir uns das von uns selbst wünschen. Wir glauben, dass etwas, nur weil wir es auf der Verstandesebene analysiert und durchschaut haben, sich doch bitte JETZT auflösen muss. Wir sind nicht gnädig mit uns, nicht liebevoll und annehmend, sondern verurteilen uns selbst dafür, wenn die Dinge ihre ganz eigene Zeit brauchen.

Erfahrungen, die Sie vor Jahren gemacht haben, sind bis heute auf zellulärer Ebene gespeichert – gleicht eine neue Situation einem unangenehmen Erlebnis von damals, werden sofort im Hirn bestimmte Botenstoffe ausgeschüttet, die die Zellen in Ihrem gesamten Körper mit Hormonen und biochemischen Vorgängen reagieren lassen. Ohne dass Sie das bewusst mitbekommen oder irgendwie steuern könnten, zumindest als Ottonormalverbraucher. Eine eigentlich nicht greifbare Sache, nämlich eine Erinnerung, die Sie höchstens als Gedanke auf der abstrakten Ebene wahrnehmen können, löst so eine ganze Kaskade in Ihrem Körper aus. Oder ist im Extremfall sogar als Dauerverspannung in einem bestimmten Muskel vorhanden.

Diese alten abgespeicherten Erfahrungen sind natürlich auch verknüpft mit entsprechenden emotionalen Reaktionen und bestimmten Gedanken, den sogenannten Glaubenssätzen. Haben Sie sich selbst schon einmal bei Aussagen ertappt, die gar nicht Ihrer eigentlichen Überzeugung entsprechen und die Situation irgendwie komisch und unangenehm werden lassen? Gibt es in Ihrem Leben Bereiche, wo Sie das gewünschte Ziel trotz intensivster Arbeit nicht erreichen können? Tun Sie manchmal Dinge, die Ihnen schaden, und sehen Sie sich selbst dabei quasi von außen mit Erstaunen oder gar Entsetzen währenddessen zu?

Das alles sind innere Anteile, die einem bestimmten Glaubenssatz folgen und so lange in Ihnen agieren, bis dieser Glaubenssatz sich wieder einmal bewahrheitet hat. Wer also z.B. glaubt, als Partner nicht gut genug zu sein, wird immer wieder Situationen erleben, in dem ihm genau das vorgeworfen wird oder er tatsächlich Dinge tut, die ihn zu einem „schlechten“ Partner machen.

Wie kommen wir aber jetzt aus der Kiste wieder raus? Und warum lohnt es sich, auch hier einen „Umweg“ zu machen anstatt uns voller Eile zur schnellen Veränderung anzutreiben? Weil diese inneren Anteile und alten Gefühle früher ihren Sinn hatten, ja oft sogar Lebensretter waren. Und deshalb möchten sie nicht einfach verachtet und „weggemacht“ werden, sondern erst einmal liebevoll wahrgenommen und angenommen werden. Jedes Muster, das Sie mit Gewalt versuchen zu bekämpfen, wird mit Kampf antworten. Es wird sich wehren.

Nehmen wir den Glaubenssatz „Ich bin nicht gut genug“ als Beispiel. Gehen wir von einer Person aus, die mit einem cholerischen Elternteil aufgewachsen ist, der keine andere Meinung als die eigene geduldet hat und es nicht ertrug, wenn andere Menschen etwas „besser“ konnten. Der Glaubenssatz „Ich bin nicht gut genug“ hat das Kind davor bewahrt, ständigen Konfrontationen und emotionalen / physischen Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Wer davon ausgeht, dass er ohnehin nichts kann und weiß, legt sich nicht mit einem solchen Elternteil an. Und er muss nicht an dem trotz allem geliebten Elternteil zweifeln, zumindest bis zu einem gewissen Alter.

Als abhängiges Kind und Jugendlicher kann dieses Verhalten also nutzbringend sein. Möchte der Erwachsene aber nun dieses Muster ablegen und selbstbewusst hinaus in die Welt gehen, wird dieser Lebensretter unweigerlich zum „Problem“. Kaum erkannt möchten wir diese identifizierten Glaubessätze und zugehörigen Verhaltensmuster also sofort eliminieren. Das bedeutet konkret, dass wir Teile von uns angreifen und bekämpfen, also quasi eine Autoimmunkrankheit haben auf der emotionalen und geistigen Ebene. Und wie bei einer Autoimmunreaktion endet das Ganze mit Schmerzen und Behinderungen. Wir leiden an uns selbst und sind nicht frei das zu leben, was wir wirklich sind. Stattdessen sind wir fixiert auf Bereiche, die wir nicht mehr rückgängig machen können, weil sie schon lange passiert sind.

Es gilt also den Blick nach vorne zu richten statt nach hinten und das, was jetzt da ist, liebevoll als einen Teil von uns selbst anzunehmen. Unsere Verhaltensmuster und verletzten Gefühle da sein zu lassen und ihnen zu danken dafür, dass sie damals versucht haben, das Beste aus einer schlimmen Situation zu machen.

Das ist der Umweg, denn es kann sein, dass dieses Annehmen, lieb haben und einfach da sein lassen, das Fühlen der alten Gefühle länger dauert als wir glauben aushalten zu können. Und wir meinen oft, es würde nie mehr aufhören, wenn wir es erst einmal aus der lange verschlossenen Kiste heraus lassen. Genau das Gegenteil ist aber der Fall: Erst durch das liebevolle Annehmen dieser inneren Anteile und ihrer Reaktionsmuster, durch das Erteilen ihrer Existenzberechtigung, durch das humorvolle Schmunzeln über unsere Macken und „Fehler“, dadurch verlieren sie ihre Macht über uns, ihren eisernen Griff. So wird der „Umweg“ für Sie langfristig gesehen zur Abkürzung. Je mehr es Ihnen gelingt, sich die Liebe für sich selbst zu erlauben, desto leichter lösen sich die alten Konflikte in Ihnen auf.

Die Devise lautet demzufolge: Liebevoll wahrnehmen, Erlaubnis zum Dasein erteilen und dann beobachten, was passiert. Das ist zu wenig Aufwand und zu wenig aktives Aufarbeiten, als dass es effektiv sein könnte? Probieren Sie es aus…