Um das von Anfang an klar zu stellen: Ich habe nichts gegen Gurus an und für sich. Wenn es dir gut tut, was dieser Mensch dir zu sagen hat oder auf eine andere Art schenken kann – wunderbar. Sri Sri Ravi Shankar zum Beispiel finde ich sympathisch und der Basiskurs, den ich bei seiner Organisation Art of Living gemacht habe, hat mir tolle Atemtechniken und alltagstaugliches Yoga eingebracht, keine Frage. Mit „Guru war gestern“ meine ich etwas im viel weiteren Sinne. Wen machst du zu deinem Guru? Ist es eine Lehrerfigur aus einem Kurs oder der Autor deines spirituellen Lieblingsbuches? Ist es der „unglaubliche“ Heiler aus einem fernen Land, zu dem du pilgerst und von dem du dir ein ganz konkretes Ergebnis erhoffst? Oder tatsächlich der sprichwörtliche indische Guru, der ja übersetzt erst einmal nichts anderes bedeutet als „Lehrer“?

In der spirituellen Szene wimmelt es nach wie vor von selbsternannten oder von ihren Schülern dazu gemachten Autoritätsfiguren, deren subjektive Wahrnehmungen zu einem unumstößlichen Dogma erhoben werden. Auch im Jahr 2014 noch, wo die Erde doch diesen „Aufstieg“ hätte machen sollen vor zwei Jahren. Höhere Schwingung und so (Spürst du es schon??? Nein? Mach dir nichts draus, ich und ganz viele andere auch nicht!)… Sodass die Menschen endlich ganz ihre göttliche Natur leben und wir alle Halleluja singend auf flauschigen rosa Wölkchen dahin schweben. Und die bösen Widerständler, die es immer noch nicht lernen wollen, in Tod und Wahnsinn getrieben werden.

Aber zurück zum Thema, Dogma und so. Ist ja auch erst einmal ein völlig logischer Vorgang, das ging mir auch nicht anders: Da kommst du als spiritueller Frischling in einen Kurs, hast natürlich schon das eine oder andere einschlägige Buch gelesen (nur um dann von den anderen Kursteilnehmern zu erfahren, dass das natürlich die „falschen“ Bücher waren, weil die Plejaden ja schließlich nicht die Heimat unserer kosmischen Urfamilie waren sondern NATÜRLICH Sirius… Verzeihung, wie konnte mir das nur entgehen!) und harrst gespannt der Wahrheiten, die nun hier alsbald verkündet werden.

Ja, ich weiß, ich sollte mich nicht lustig machen. Alles, was ich in den vielen Kursen gelernt habe, hat mich weiter gebracht und mir auf meinem Weg geholfen. Und ich habe dort absolut fantastische Menschen kennen gelernt, egal ob Kursteilnehmer oder Lehrer: Wahrheitssucher, Sternenwanderer, Idealisten und große, gebende Herzen. Einige davon sind bis heute gute Freunde und Bekannte geblieben und ich möchte sie um nichts auf der Welt missen.

Tatsächlich hatten auch einige dieser Lehrer mit vielem Recht, was sie mir als meinen „Widerstand“ erklärt haben, als „Thema“ und rebellierendes inneres Kind. Und tatsächlich habe ich einige sehr nützliche Werkzeuge für den Umgang mit Klienten gelernt – wie man zwischen den Zeilen liest und zwischen den Tönen hört, was dein Gegenüber selbst gar nicht auf dem Bildschirm hat. Wie man die Synergie der Gruppe nutzen kann, um heilende Prozesse für alle möglich zu machen. Wie stark die Energie von Mutter Erde ist und was sie in deinem Herzen alles bewirken kann, wenn du bereit bist, sie herein zu lassen. Wenn du bereit bist,  dich von der Schönheit der Natur berühren zu lassen und ihren vielfältigen Wundern.

Und trotzdem habe ich eines immer wieder feststellen müssen, wenn auch manchmal erst nach Jahren im Rückblick. Der einzige, der mir eine definitive, zutreffende und niemals irrende Rückmeldung zu mir und meinem Leben geben kann, ist mein Bauch (bitte setze hier das für dich passende Wort ein: „Instinkt“, „inneres Wissen“, „innerer Lehrer“, „höheres Selbst“ etc.). Nur er weiß, ob etwas für mich, ganz subjektiv und nur in meinem persönlichen Universum, „richtig“ oder „falsch“ ist, ob es sich gut oder nicht so gut anfühlt, ob ich lieber die Finger davon lassen sollte oder den Weg freudestrahlend weiter voranschreiten.

Das Witzigste und zugleich Traurigste an der ganzen Sache ist aber Folgendes: EIGENTLICH sagen alle diese Autoritätsfiguren (zumindest die vertrauenswürdigen) genau das: „Höre auf dein Herz“, „Vertraue deiner inneren Stimme“, „Folge deiner inneren Führung“ und (mein persönliches Hasswort über lange Zeit hinweg bis ich die wahre Bedeutung verstand) „Geh in die Eigenverantwortung“.

Paradoxerweise versuchen einige dir dann aber zu erklären, WIE genau der Weg zu deinem Herzen verläuft, wie du ihn am besten gehen solltest und wie nicht, welche spirituelle Etikette du gefälligst zu beachten hast und wie exakt die Engelshierarchien von unten nach oben verlaufen und ob das Chakra sich jetzt links oder rechts herum drehen muss, um nur mal zwei Beispiele zu nennen.

Danke an dieser Stelle an alle Lehrer, die sich dieses Widerspruches stets bewusst waren und immer klar signalisiert haben, dass sie mir ein Angebot machen, das aber für mich so nicht unbedingt stimmen muss. Dass ich selbst prüfen muss, ob mein Inneres da mitgehen kann. Dass wir alle gleichberechtigt Suchende auf derselben Ebene sind. Und die richtig guten haben auch versucht mir zu vermitteln, dass es nichts zu finden gibt, aber das habe ich leider erst nach zermürbenden Jahren der Auseinandersetzung mit meinem vermeintlichen „Themen“ erkannt.

Dafür war der Aha-Effekt dann aber umso gewaltiger, ein Knall mit Rauch und Staub vom Feinsten! Das einzig reale „Problem“ war ich selbst bzw. mein Verstand, der am laufenden Band irgendwelche Geschichten suchte (und auch stets fand, wie ein braver Labrador), warum ich ja gar nicht glücklich sein kann, so wie ich bin. Denn da gibt es ja noch soooooo viele Verhaltensmuster und „negative“ Gefühle aufzulösen (nur fürs Protokoll: es gibt keine „guten“ und „bösen“ Gefühle – ein Gefühl ist ein Gefühl ist ein Gefühl, um es jetzt mal mit Gertrude Stein zu sagen, Punkt, nicht mehr und nicht weniger). Und das mit dem Auflösen ist eine ziemlich zeitraubende Sache, das gleicht einer sich endlos nach oben schraubenden Spirale:

Also, du hast da jetzt erfolgreich ein „Problem“ bei dir gefunden. Ein Grund, warum du auf gar keinen Fall ok sein kannst, so wie du bist. Gut. Was ist nun als Nächstes zu tun? Du kannst in die Kindheit gehen oder – noch viel schlauer, weil bis in alle Unendlichkeit fortsetzbar – in frühere Leben. Fein! Da gibts ja einiges zu graben und zu analysieren!! Da muss ich nie einfach im Hier und Jetzt sein und mich fühlen. Klasse!!

Irgendwann verstand ich, was da in dieser „Themen-auflösen-Industrie“ läuft. Das nimmt nie ein Ende. Ein Klassiker sind z.B. auch Gelübde und Schwüre, die man dann unbedingt auflösen muss, weil man sonst niiiiiiiiiie Frieden finden wird.

Deshalb liebe ich Vorgehensweisen wie Awakening Coaching (Arjuna Ardagh) oder The Work (Byron Katie) oder Robert Betz‘ Ansatz – ENDLICH SIND SIE DA, die neuen „Lehrer“, die keine mehr sind und die uns die Augen öffnen dafür, dass es keine Probleme gibt! Jaja, du darfst gerne einen uralten tibetisch-syrisch-javanesischen Text aus dem 13. Jahrhundert zitieren und mir schicken, in dem genau das alles schon erklärt ist. Sorry, ich bin halt von der langsamen Sorte, ich habe das alles tatsächlich am eigenen Leib erfahren müssen…

In diesem Sinne: Wie wäre es, wenn wir einfach das Zeitalter der „Spiritualität 2.0“ einläuten und nicht nur theoretisch immer wieder mantraartig wiederholen „Ich bin ein vollkommenes göttliches Wesen mit all meinen menschlichen Makeln“, sondern das dann auch zur Abwechslung mal glauben und danach leben? Mit allen Konsequenzen: auf das Bauchgefühl hören, Entscheidungen selbst treffen, die Vergangenheit endgültig ruhen lassen, das Hier und Jetzt genießen und voll auskosten, die Menschen um uns her so sein lassen, wie sie sind (wenns passt, dann passts, wenn nicht, kannst du eh nix dran ändern), unsere Kinder in Selbstachtung und -liebe erziehen und dem Guru freundlich aber bestimmt erklären, dass du da wirklich im Solarplexus keine Energie spürst, selbst nach drei Stunden Meditation am Stück, und deswegen jetzt mit Freunden Kaffee trinken gehst, weil Lachen wenigstens eine konkret spürbare Medizin ist.

Das wäre doch mal ein Anfang…